Verschärfte Lohn- und Arbeitsregeln in der Schweiz

Verschärfte Lohn- und Arbeitsregeln in der Schweiz

21. Juni 2018

Das Schweizer Lohnkartell unter dem Titel «flankierende Massnahmen zur Personenfreizügigkeit» wurde mehrmals ausgebaut. Ein besonders umstrittener Zusatz war 2013 die Einführung einer Kettenhaftung (Solidarhaftung) im Baugewerbe. Demnach haftet der Erstunternehmer (z. B. Generalunternehmer) zivilrechtlich für Verstösse gegen die Lohn- und Arbeitsregeln in der ganzen Subunternehmerkette, unabhängig davon, ob die Subunternehmen aus dem Ausland oder der Schweiz kommen. Der Erstunternehmer kann sich nur dann aus der Kettenhaftung befreien, wenn er nachweislich seine Sorgfaltspflichten erfüllt hat – namentlich indem er sich von den Subunternehmern «die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen anhand von Dokumenten und Belegen glaubhaft darlegen lässt», wie das Gesetz sagt. Zu den Sorgfaltspflichten gehören überdies auch Baustellenkontrollen.

All dies erscheint administrativ ziemlich mühsam. Dies war damals ein zentrales Argument des Baumeisterverbands gegen die Einführung dieser Kettenhaftung. Zudem sagten die Gegner, diese Regulierung werde die Arbeitsteilung behindern.

Doch die Befürworter hatten sich im Parlament kraft einer Allianz von drei Gruppen durchgesetzt: Gewerbevertreter namentlich aus Grenzregionen wollten keine «unlautere» Konkurrenz, die sich nur dank Nichteinhaltung von Schweizer Standards Aufträge holte; die Linke ist grundsätzlich fast für jede Verschärfung des Lohnkartells, um Lohnunterbietungen zu erschweren; zudem wollten manche Bürgerliche eine demonstrative Verschärfung der Regeln, um die Mehrheitsfähigkeit des freien Personenverkehrs Schweiz-EU zu retten. Der Bund prognostizierte derweil, dass nicht mit einer Klagewelle zu rechnen sei und die Gesetzesverschärfung vor allem vorbeugende Wirkung haben dürfte.

Mehr Vorsicht, mehr Kosten

Die Verschärfung trat Mitte 2013 in Kraft. Fünf Jahre später hat nun der Bundesrat im Auftrag des Parlaments einen Bericht über die Wirkungen der neuen Regeln vorgelegt. Der Tonfall des Berichts ist grossenteils positiv. Die Hauptbasis des Papiers ist eine Befragung von gut 900 Baufirmen, davon rund 400 Erstunternehmen. Ein erster Befund des Berichts: Die Regulierung habe die gewünschte vorbeugende Wirkung. Dies gilt allerdings nur für eine Minderheit der Ernstunternehmen. Rund 35% der Befragten erklärten, dass sie das Auswahlverfahren für Subunternehmer nach der Einführung der Solidarhaftung verändert hätten. Die meisten in dieser Gruppe (knapp 30% aller befragten Erstunternehmen) sagten, dass sie bei der Auswahl von Subunternehmen seit der Einführung der Kettenhaftung «vorsichtiger» geworden seien.

Eine zweite Kernaussage des Berichts: Die Regulierung führte wie befürchtet zu administrativen Mehrkosten. Knapp die Hälfte der befragten Firmen vermutete eine Zunahme der Kosten seit 2013; insgesamt knapp 20% sprachen von einer deutlichen Zunahme. Gut drei Fünftel der Firmen, die eine Kostenzunahme meldeten, führten diese direkt auf die Einführung der Solidarhaftung zurück. Eine geplante Informationsplattform soll künftig die Kosten von Baustellenkontrollen senken.

Ein dritter Befund des Bundesrats: Es kam bisher tatsächlich nicht zu einer Klagewelle. Laut dem Bericht gab es erst ein Gerichtsurteil (aus Genf) zur Solidarhaftung. Die Klage eines polnischen Arbeiters wegen Nichtbezahlung von Löhnen wurde abgelehnt, weil dieser zuerst hätte versuchen müssen, seine Forderung beim eigenen Arbeitgeber durchzusetzen, statt direkt den Erstunternehmer zu verklagen.

Im Weiteren nehmen laut dem Bericht rund ein Drittel der befragten Baufirmen an, von der verstärkten Solidarhaftung zu profitieren, weil diese «faire Wettbewerbsbedingungen» schaffe. Aus den Statistiken über die Lohnentwicklung und die Zahl der vermuteten Lohnverstösse lassen sich derweil keine schlüssigen Aussagen über allfällige Wirkungen der Kettenhaftung ableiten.

Man bleibt bei seiner Meinung

Im Fazit klopft sich der Bundesrat auf die Schultern: Die Solidarhaftung habe ihre Ziele erreicht. Und auch die Gegner bleiben bei ihrer ursprünglichen Meinung: Der Baumeisterverband verwies am Mittwoch auf die administrativen Kosten der Übung und erklärte, dass sich die positiven Wirkungen ohne Gesetzesintervention sozialpartnerschaftlich hätten erreichen lassen. Zudem zeige sich auch hier, dass jedem neuen Staatseingriff schon bald der Ruf nach der nächsten Regulierung folge. Die Baumeister verweisen auf eine im März eingereichte parlamentarische Initiative aus der SP. Diese will, dass geschädigte Bauarbeiter nicht mehr versuchen müssen, ihre Forderungen zuerst beim eigenen Arbeitgeber durchzusetzen, sondern direkt den Erstunternehmer verklagen können.

Eine solche Forderung fügt sich in der Tat nahtlos ein in den Trend seit Einführung des Lohnkartells als politischer Flankenschutz der Personenfreizügigkeit im Jahr 2005: Es gibt wie bei einer Sperrklinke bei Subventionen und bei Renten politisch fast nur eine Richtung – den Ausbau.

Quelle: NZZ E-Paper vom 12.06.2018

 

Ihr Ansprechpartner bei der cmt ag