Unfallversicherung und Lawinengefahr

Unfallversicherung und Lawinengefahr

03. April 2019

Jeden Winter begeben sich in den Schweizer Bergen trotz Lawinengefahr Wintersportler auf ungesichertes Gelände. Nicht immer verläuft die Fahrt durch den Tiefschnee glimpflich. Wie steht es um den Versicherungsschutz und die Haftung?

Einleitung

Wintersportler, die ausschliesslich gesicherte und freigegebene Pisten benützen, können ihren Sport gefahr- und bedenkenlos ausüben. Dafür gehen Patrouilleure und der Pistenrettungschef jeden Morgen ihrer Sorgfaltspflicht nach und begutachten die Lawinengefahr an exponierten Hängen und führen wenn nötig Lawinensprengungen durch. Die Pisten werden erst freigegeben, wenn die Kontrolle erfolgt ist oder die Sprengung durchgeführt wurden.

Jeden Winter aber begeben sich Wintersportler trotz Warnhinweisen auf ungesicherte Pisten. Reichlich Schnee, Sonne und unberührte Pisten – für jeden Freerider ist eine solche Situation Genuss. Aber nicht nur die Freerider, auch normale Skifahrer und Snowboarder fahren immer mal wieder gerne abseits der markierten Pisten, trotz erhöhter Lawinengefahr und Warnungen der Betreiber der Skigebiete. Trotz Warnhinweisen können die Bergbahnen nicht verhindern, dass sich dennoch einige Wintersportler abseits der Piste bewegen. Wer die Piste verlässt, muss einfach die Gefahren einschätzen und eigenverantwortlich handeln. Die Aufgabe der Bergbahnen ist es, die Schneesportler über die Lawinensituation zu informieren, zu sensibilisieren und an die Vernunft zu appellieren.

In der Schweiz verlieren gemäss der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) jährlich rund 20 Personen bei Lawinenunglücken ihr Leben. Viele weitere Wintersportler werden verletzt.

Leistungen der Unfallversicherung (UVG)

Wintersportlern, die eine Lawine auslösen und selbst verschüttet werden, entschädigt die Unfallversicherung sämtliche versicherten Pflegeleistungen und Kosten. Das sind die Ausgaben, die bei einer Bergung oder Rettung der verunglückten Person aus der Lawine anfallen, sowie ärztliche Behandlungen und Medikamente. Voraussetzung ist, dass die betroffene Person gegen Nichtberufsunfälle versichert ist. Diese Voraussetzung erfüllen Arbeitnehmende, welche mindestens acht Stunden pro Woche für den gleichen Arbeitgeber arbeiten.

Fahren abseits der Piste gilt bei schwerwiegender Missachtung der üblichen Vorsichtsgebote als Wagnis. Bei Nichtberufsunfällen können die Geldleistungen um die Hälfte gekürzt und in besonders schweren Fällen verweigert werden. Es betrifft Taggelder, Renten und Integritätsentschädigung.

Grund dieser Leistungskürzung oder -verweigerung der Leistungen ist, dass die grosse Mehrheit der Versicherten nicht für einige wenige Personen aufkommen muss, die ausserordentlich viel riskieren.

Das Unfallversicherungsrecht unterscheidet zwischen absoluten und relativen Wagnissen.

Absolutes Wagnis: Handlung, wenn die damit verbundenen Gefahren nicht auf ein vernünftiges Mass reduziert werden können oder wenn sie unsinnig oder verwerflich erscheint. Häufig sind dies Sportarten mit hoher Geschwindigkeit oder Renncharakter. Wer beispielsweise an Auto- oder Motocrossrennen teilnimmt oder Kampfsportarten mit Vollkontakt ausübt, dem werden im Falle eines Unfalls die Geldleistungen um die Hälfte oder mehr gekürzt. Das Gleiche gilt für Personen, die in Länder mit Entführungsrisiko reisen, z.B. Pakistan.

Relatives Wagnis: Die Gefahren der Handlungen können von der handelnden Person auf ein vernünftiges Mass reduziert werden.

Zu den relativen Wagnissen zählen etwa die beliebten Schneesport-Aktivitäten: das Befahren einer eindeutig gesperrten Route, sei es wegen deren Gefährlichkeit oder wegen zu hoher Lawinengefahr, oder auch das verlassen offizieller Pisten bei hoher Lawinengefahr – ungeachtet der Warnungen bei der Seilbahn- oder Skiliftstation.

Verunfallt eine versicherte Person beim Ausüben einer Sportart, die als relatives Wagnis eingestuft wird, muss zunächst überprüft werden, ob angemessene Sicherheitsmassnahmen getroffen wurden. Ist dem nicht so, werden die Geldleistungen der verunfallten Person um mindestens die Hälfte gekürzt. Bei einem Unfall abseits der Piste müssen also nicht nur körperliche Verletzungen in Kauf genommen werden, sondern auch finanzielle Verluste.

BEISPIEL 1 Relatives Wagnis

Eine versicherte Person will mit drei Begleitern abseits der Piste in ein Couloir, eine von Felsen begrenzte Rinne, fahren. Um dahin zu gelangen, unterfährt die Gruppe eine Seilabsperrung. Die Versicherte fährt als Erste auf die sehr steile Strecke. Nach einer kurzen Rutschpartie löst jemand von der Gruppe eine grosse Schneebrettlawine aus. Die Verunfallte wird davon erfasst und verletzt sich am Arm. Am Unfalltag hatten im Skigebiet diverse Tafeln auf die erhebliche Lawinengefahr aufmerksam gemacht. Ausserdem unterfuhr die Versicherte mit ihren Begleitern eine Absperrung. Die Verunfallte hat somit mehrere Warnungen missachtet und erhält vom Unfallversicherer nur einen Teil der Geldleistung.

Lawinengefahrenstufe 3 (von 5) bedeutet ausserhalb der Pisten erhebliche Lawinengefahr. In besonders schweren Fällen von Wagnissen können die Geldleistungen ganz verweigert werden.

BEISPIEL 2 Absolutes Wagnis

Eine andere versicherte Person begibt sich im Alleingang auf eine sehr schwierige Bergtour. Dies, obwohl der Wetterbericht schlechtes Wetter vorhergesagt hat und erfahrene Bergsteiger davon abgeraten haben, die Tour durchzuführen.

Leistungen der beruflichen Vorsorge (BVG)

Die Vorsorgeeinrichtung der beruflichen Vorsorge (BVG) ist nicht verpflichtet, Leistungsverweigerungen oder -kürzungen der Unfallversicherung auszugleichen.

Leistungskürzungen und -verweigerungen können einzig über eine UVG-Zusatzversicherung ausgeglichen werden. Eine solche kann durch den Arbeitgebenden oder durch die versicherte Person abgeschlossen und dieses Zusatzrisiko mitversichert werden.

Strafrecht

Werden jedoch andere Personen konkret gefährdet, muss auch mit strafrechtlichen Konsequenzen gerechnet werden. Wenn die Lawine auf eine markierte Piste, signalisierte Schneesportroute oder öffentliche Strasse niedergeht, während sich dort Personen befinden, droht den Lawinenauslösern ein Verfahren wegen Störung des öffentlichen Verkehrs gemäss Strafgesetzbuch. Wenn Menschen infolge der Lawine nicht nur gefährdet, sondern auch verletzt werden oder ums Leben kommen, stehen die Tatbestände der fahrlässigen Körperverletzung im Vordergrund. Voraussetzung einer Verurteilung wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts ist unter anderem immer die Verletzung einer Sorgfaltspflicht, was in den geschilderten Fällen regelmässig zutreffen wird.

 

Autor: René Mettler

 

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